Veröffentlicht: 09.07.2014, 03:59 (CEST) |
Bielefeld (Deutschland), 09.07.2014 – Am Samstag (5. Juli) verstarb der Gesellschaftshistoriker Hans-Ulrich Wehler im Alter von 82 Jahren. Wehler gehörte zu den bedeutendsten Historikern der deutschen Nachkriegszeit. Er lehrte von 1971 bis zu seiner Emeritierung 1996 an der bei seiner Berufung gerade erst gegründeten Universität Bielefeld. Er begründete zusammen mit Jürgen Kocka die als Bielefelder Schule bekanntgewordene Richtung der Geschichtswissenschaft, die nicht mehr allein von Politikgeschichte, sondern gerade von einer Mischung aus dieser mit Sozial-, Ideen-, Kultur- und Alltagsgeschichte geprägt wird. Die entscheidende Ergänzung war aber der Einzug der Statistik in die Geschichtswissenschaft, der durch Wehler vorangetrieben wurde und sie zur historischen Sozialwissenschaft machte. Damit veränderte sich die Methodik grundlegend, und dies stieß zunächst auf Ablehnung. So wurde seine erste zum großen Teil in den USA verfasste Habilitationsschrift als nicht „hinreichend historisch“ abgelehnt, und erst mit seiner zweiten Schrift zum Imperialismus Bismarcks wurde er von der Universität Köln habilitiert. Seine 1973 erschienene Darstellung des deutschen Kaiserreichs wurde dann jedoch zu einem Klassiker der Geschichtsschreibung und ist mittlerweile in der 10. Auflage noch immer erhältlich.
Wehler scheute den Konflikt nicht, und im Historikerstreit von 1986/87 gehörte er zu den lautstarken Unterstützern Jürgen Habermas' im Streit um eine als revisionistisch angesehene Deutung des 3. Reichs. 1987 erschien aber auch der erste Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“, die einen Überblick über die deutsche Geschichte vom 18. Jahrhundert bis 1990 gibt. Die Darstellung, die insgesamt fünf Bände umfasst, wurde erst 2008 vollendet und ist sowohl sein Opus magnum als auch prägend für sein Spätwerk. Mit dem dritten Band seiner Gesellschaftsgeschichte, in dem das Zeitalter Bismarks behandelt wird, aber besonders im vierten Band, wo es unter anderem um die Persönlichkeit Hitlers geht, wird die Bedeutung des Individuums für die Geschichte durch Wehler immer stärker herausgestellt. Für Aufsehen hatte zuletzt noch seine Kritik am Islam und der Türkei gesorgt. Den Einfluss des Islam sah er als problematisch für die Weltpolitik an, und den Beitritt der Türkei zur EU lehnte als kulturell nicht zu Europa passend ab.
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