Veröffentlicht: 24.01.2014, 15:59 (MEZ) |
München / Peking (Deutschland / China), 22.01.2014 – Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade jetzt eine zweite große Enthüllungswelle der Offshore-Leaks läuft, die die chinesische Machtelite schwer belastet. Am Mittwoch (22.01) begann in Peking der Prozess gegen Xu Zhiyong, der offiziell wegen der "Versammlung von Menschen zur Störung der öffentlichen Ordnung" angeklagt ist. Doch der wahre Grund für die Anklage gegen Xu ist seine Kampagne dafür dass die chinesische Machtelite ihre Vermögen offenlegt. Xu war im Sommer 2013 verhaftet worden und danach unter Hausarrest. Der Prozess ist der erste, dem in den nächsten Tagen weitere gegen Angehörige des „New Citizens′ Movement“ folgen sollen. Der Prozess gegen Xu ist der wichtigste Prozess gegen einen chinesischen Bürgerrechtler seit dem Prozess gegen Liu Xibao 2009.
In Peking versammelte sich während des Prozessauftaktes eine kleine Gruppe von Chinesen zur öffentlichen Unterstützung von Xu, doch die Sicherheitskräfte gingen streng gegen diese Menschen vor. Ausländische Medienvertreter, die von dem Prozess berichten wollten, konnten das streng abgeschirmte Gerichtsgebäude des Mittleren Volksgerichts Nr.1 in Peking nicht betreten. Aber damit nicht genug, Medienvertreter berichteten auch, dass sie von zivilgekleideten Männern aus dem Bereich vor dem Gebäude abgedrängt wurden. Ausländischen Diplomaten gelang es zwar in das Gebäude zu kommen, aber auch sie konnten den Prozess nicht verfolgen und hatten anschließend Probleme mit den vor dem Gebäude versammelten Journalisten zu sprechen. Das „Public Security Bureau“ eine dem Ministerium für öffentliche Sicherheit unterstellte Polizei hatte einen besonderen Auftrag zur Aufrechterhaltung der „Stabilität“ während des Prozesses erhalten, den sie so umsetzte.
Zeitgleich mit dem Prozess veröffentlichte das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) neue Details der Offshore-Leaks. Man mag dies durchaus als Unterstüzung von Xu sehen, denn diesmal werden rund 22.000 Chinesen belastet, Geld unter fragwürdigen Umständen in Offshore-Finanzplätzen angelegt zu haben. Unter den genannten Personen sind zwar nicht die höchsten Männer im Staat, doch es werden neben engen Verwandten von ehemaligen Regierungsmitgliedern auch Xi Jipings Schwager sowie die 15 reichsten Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses und eine Reihe von Managern großer Konzerne genannt, die zum Teil auch in Korruptionsskandale verwickelt sind. Investitionen in Offshore-Firmen, in diesem Fall bevorzugt auf den British Virgin Islands sind ansich nicht strafbar, doch in China werden nach Schätzungen rund 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr illegal ausser Landes gebracht und dazu gehören zweifelsohne auch Gelder, die aus Korruption stammen, wobei dem Staat auch durch die entgangenen Steuereinnahmen ein nicht unerheblicher Schaden entsteht. Aber gerade der Korruption hat die augenblickliche chinesische Führung den Kampf angesagt. Dabei wurde das Wort vom Kampf gegen die „Fliegen“ und die „Tiger“ geprägt und auch wenn es bereits einige Prozesse mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit gegen korrupte hochrangige Beamte und Manager („Tiger“) durchgeführt wurden und eine große Zahl von Beamten („Fliegen“) entlassen wurde, bleibt,doch die Frage wie umfangreich und ernsthaft der Kampf gegen die Korruption wirklich ist, denn Transparenz in das Vorgehen ist keineswegs gegeben.
Transparenz nach innen war in Chinas Regierungspolitik noch nie gegeben, aber ausländische Medien konnten hier zumindest gelegentlich eine kleine Lücke in die Mauer des Schweigens brechen. Doch heute wurden ausländische Medien nicht nur bei der Berichterstattung vom Prozess gegen Xu massiv behindert, auch die Berichte ausländischer Medien über die chinesischen Offshore-Firmengeflechte wurden in China massiv behindert. Chinesische Medienpartner des ICIJ aus der Volksrepublik China hatten sich bereits kurz nach dem Beginn der Untersuchungen aus Angst vor Repressalien und angesichts unverhohlener Überwachung zurückgezogen. Laut Süddeutscher Zeitung gab nun das „Büro für Internet-Informationsverwaltung“ in Peking die Anweisung heraus "Alle Berichte und Inhalte über 'China Offshore-Leaks' dringend zensieren und löschen. Die interaktiven Inhalte im Internet streng kontrollieren, alle Bilder und aggressiven Kommentare gegen führende Funktionäre und das System löschen. Sofort die Konten blockieren, die schlechten Einfluss haben und mit den Behörden vor Ort gemeinsam Untersuchungen einleiten". Die Seiten der Süddeutschen Zeitung, aber auch des NDR als deutsche Vertreterin beim ICIJ sind daraufhin in China nicht mehr zugänglich, genauso wie die Seiten des Guardian und von El Pais, als weitere Partner des ICIJ.
Seit die New York Times 2012 über die finanziellen Interessen von Wen Jiaboas Familie im Ausland berichtete ist ihre Internetseite genauso wie die des Informationsdienstes Bloomberg, die ebenfalls darüber berichteten in China nicht mehr zu erreichen. Als Die Zeit im Sommer 2013 ein Interview mit dem Dalai Lama veröffentlichte, war ihre Webseite ebenfalls für Wochen nicht zu erreichen und auch die Webseiten der BBC zu China sind seit deren Berichten über den Prozeß gegen Bo Xilai nicht mehr aufrufbar. Die Maßnahmen gegen die Süddeutsche Zeitung und den NDR waren somit vorhersehbar. Allerdings sind die Berichte zu den Offshore-Leaks der vom NDR produzierten Tagesschau in China noch teilweise zugänglich wie Ariane Reimers die ARD Korrespondentin in Peking berichtet, nur die Teile, die direkt zum NDR verlinken, sind nicht mehr zugänglich. Die Kontrolle des Internets ist also keineswegs vollständig und wer als kritischer und interessierter Mensch in China lebt, der weiß, wie er mit den Internetsperren umgehen muss, auch wenn es nicht immer einfach ist und die Geschwindigkeit des Netzes beeinträchtigt und wie lange die aktuellen Sperren aufrecht erhalten werden, das kann niemand vorhersagen.
Wo liegt also die Brisanz in diesen Nachrichten, wenn so vieles schon vorhersehbar war, weil es einem bekannten Muster folgt? Für die chinesische Regierung liegt die Brisanz nicht in deren Verbindung zur Korruption, deren Umfang ist ein offenes Geheimnis und der Kampf dagegen ist ein Propagandageschäft. Es geht den chinesischen Behörden sehr viel mehr um die enormen Vermögenswerte, die hier offenbart werden. Die Korruption widerspricht dem Anspruch der Regierung allein dem Wohl des Volkes zu dienen und gefährdet so das Machtmonopol der kommunistischen Partei, die über eine Verflechtung aus Behörden und Partei herrscht. Was die neuen Offshore-Leaks nun aber deutlich offenbaren, ist die sich immer weiter öffnende Wohlstandsschere zwischen einzelnen Bevölkerungsschichten in China. Einerseits ist dies eine Schere, die sich zwischen dem wohlhabenden Osten und dem rückständigen Westen des Landes auftur, damit ist es eine Schere, die die Stadt vom Land trennt. Aber auch innerhalb des reichen Ostens des Landes gibt es enorme Unterschiede im Wohlstand der Menschen. Eine kleine Gruppe leistet sich europäische Luxuswaren: Designerkleidung, Schmuck und Uhren und fährt Oberklasse SUVs, Luxussportwagen oder Oberklasselimousinen in der besten Ausstattungsvariante und scheut sich nicht diesen Wohlstand auch offensiv zur Schau zu stellen. Gleichzeitig fördert man eine Wohnungsbaublase, in der (Luxus-)Appartments für jeden sichtbar leer stehen, weil sie reine Geldanlage sind. Verlierer hier sind vor allem die älteren Menschen, besonders jene, die nicht mehr arbeiten können. Eine staatliche Rente ist in China praktisch unbekannt, die Familie stellt die Altersicherung dar, aber wenn das chinesische Einzelkind schon selber Probleme hat, den ständig wachsenden Anforderungen und Ansprüchen des Alltags nur halbwegs gerecht zu werden, dann sind die älteren Menschen die Verlierer. Menschen, die wiederverwertbare Stoffe aus dem Müll sammeln und auch Bettler sind in den Straßen chinesischer Großstädte heute ein alltägliches Bild. Dem steht immer noch der Anspruch einer sozialistischen Gesellschaft gegenüber, die solidarisch sein soll und in der alle Menschen gleichberechtigt sind. Die Gelder, die von superreichen Chinesen in Offshore-Firmen geparkt wurden und die dort dem Zugriff des chinesischen Staates selbst im Falle einer Verurteilung entzogen sind, wie der Fall von Huang Guangyu illustriert, strafen solche Ansprüche Lügen. Huang wurde 2008 verhaftet und 2010 zu 14 Jahren Haft verurteilt, aber sein Vermögen kann durchaus noch immer im Milliardenbereich - gesichert in Offshore-Firmen - angesehen werden, wie die neuen Offshore-Leaks deutlich machen. Der Kampf gegen die Korruption kann, obwohl er als notwendig und umfassend geschildert wird, nur die Spitze eines Eisberges angreifen, den die die Offshore-Leaks in seinem vollen Umfang offenbaren. Die Spaltung der chinesischen Gesellschaft durch die Offenlegung von ungeheueren privaten Vermögenswerten, läßt sich hier nicht mehr leugnen und darin liegt die Brisanz für die chinesische Regierung. Schließlich wird damit auch deutlich, wieviel Spiegelfechterei der Kampf vor allem gegen die „Tiger“ letztendlich ist.
Die neuen Offshore-Leaks sollten aber nicht nur Besorgnis bei der chinesischen Regierung auslösen, auch in Europa und den Vereinigten Staaten sollte hier die eine oder andere Alarmglocke schellen, denn sowohl die schweizerische Großbank UBS wie auch die amerikanische Bank PricewaterhouseCoopers sind an diesen Vorgängen um chinesische Offshore-Geldanlagen und damit an der illegalen Anlage beträchtlicher Beträge im Ausland in Verbindung mit möglicher Steuerhinterziehung maßgeblich beteiligt.
[Bearbeiten]
- BBC News: „China activist lawyer Xu Zhiyong on trial“ (22.01.2014)
- The Guardian: „Chinese anti-corruption activist Xu Zhiyong goes on trial“ (22.01.2014) {{en}
- The Guardian: „China's princelings storing riches in Caribbean offshore haven“ (21.01.2014)
- ICIJ: „Leaked Records Reveal Offshore Holdings of China’s Elite“ (21.01.2014)
- China Digital Times: „Stability Maintenance for Activists’ Trials“ (22.01.2014)
- Süddeutsche Zeitung: „Die Tricks der roten Prinzlinge“ (22.01.2014)
- Süddeutsche Zeitung: „China zensiert Offshore-Leaks-Berichte“ (22.01.2014)
- Südddeutsche Zeitung: „Behörden kommen nicht an Huangs Briefkastenfirmen“ (23.01.2014)
- NDR: „Ein Eiland für die Elite“ (21.01.2014)
- NDR: „"Offshore-Leaks": China zensiert NDR.de“ (22.01.2014)
- NDR: „"Das ist die übliche Vergeltungsmaßnahme"“ (22.01.2014)
- eigene Augenzeugenschaft
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